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Version vom 15. Januar 2006, 16:01 Uhr von dewiki>Einfpol0506 MicGu (Gebhardt, Jürgen)

Biographie

Jürgen Gebhardt wurde am 27. Juli 1934 in Berlin geboren und studierte von 1953 bis 1959 Alte, Mittlere und Neue Geschichte, Literatur und Politische Wissenschaft an den Universitäten München, Berlin und Wien. Von 1959 bis 1961 war er wissenschaftlicher Assistent am Institut für Politische Wissenschaft der Universität München, wo er 1961 auch promoviert wurde. Anschließend war er von 1962 bis 1963 Research Associate of Government an der Harvard University, USA, von 1963 bis 1965 Associate Professor of Political Science an der Case Western Reserve University, USA, und von 1965 bis 1969 wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft der Universität München. 1969 war er als Visiting Professor an der East Texas State University in den USA. 1969 erfolgte die Habilitation für Politische Wissenschaft an der Universität München, wo er von 1969 bis 1971 Universitätsdozent war. 1971 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor für Politische Wissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. In dieser Zeit war er zu einem weiteren Gastaufenthalt an der University of Virginia, USA. Von 1978 bis zu seiner Emeritierung 2002 war er Lehrstuhlinhaber für Politische Wissenschaft II an der Universität Erlangen-Nürnberg. In dieser Zeit übernahm er Gastprofessuren an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Universität Peking. Seit 2004 ist er Direktor der Bayerischen Amerika-Akademie in München.

Wissenschaftliches Konzept

Das politische Denken Jürgen Gebhards ist frei von jedem romantischen Konservatismus und schlichtem Traditionsbewusstsein. Was ihn bewegt, dem Politischen über alle Grenzen der Zeit und Orte, der Kulturen und Zivilisationen, der Sprache und Mentalitäten hinweg nachzuforschen, ist die im Ethos beschlossene Idee der Humanität. Gebhardts Studien sind keiner Schule zuzuordnen, auch nicht der in den 1960 –70er Jahren populären normativ-ontologischen. Eine Fixierung auf die griechisch-römische Antike in der Wissenschaft lehnt er ab. Zivilisationen muss eine eigenständige menschliche Gestaltung der politischen Ordnung ermöglicht werden. Das Politische versteht er als „das Formprinzip aller menschlichen Vergesellschaftung schlechthin“, welches „die auf die Gesamtexistenz des Menschen bezogene Ordnung und das für sie konstitutive Selbstverständnis“ als „sinnhafte globale Einheit“ darstellt. Umgekehrt repräsentiert der politische Mensch den Wesensgehalt dessen, was Humanität ausmacht. In seinen Studien verzichtet er bewusst auf verselbständigende sozial- und ideengeschichtliche Darstellungen von Entstehungen, Inhalt und geschichtlichem Kontext politischer Vorstellungen. Gebhardt systematisiert vielmehr die in Diskursen beschlossenen Implikationen und warnt vor unreflektierter Sinnentleerung des Politischen, im Namen der so genannten Wissenschaft. Wohl kaum ein politischer Theoretiker seiner Generation in Deutschland hat so differenzierte Überlegungen zur methodischen Grundlegung der Politischen Wissenschaft vorgelegt wie Jürgen Gebhardt. Hauptunterschied zu sozialwissenschaftlichen Methodologien ist das anthropologische Prinzip im Mittelpunkt. Philosophisch-historische Reflexion einerseits und vergleichende empirisch-hermeneutische Ideengeschichte andererseits beziehen sich konstitutiv aufeinander. Dabei geht es stets darum, bis zu den fundamentalen anthropologischen, psychologischen und bewusstseinsphilosophischen Voraussetzungen politsicher Phänomene vorzudringen. Diese Wissenschaft ist keine Doxographie, sondern in den Ordnungslogiken der konkreten Gesellschaften die überzeitlichen Grundfragen nach Humanität. Prinzipiengeleitete Untersuchungen eines politischen Begriffes müssen historische mit theoretischen Analysen „derart kombinieren, dass sowohl dessen Historizität wie auch die Historizität beschlossene geschichtstranszendente Ordnungsidee deutlich wird.“ In neueren Schriften wechselt der Schwerpunkt zunehmend von den westlichen Zivilisationen auf nichtwestliche. Nur aus einer interzivilisatorischen Perspektive erschließt sich der Blick auf das Menschenwesentliche, das allen kulturell und historisch bedingten Erscheinungen des Politischen zugrunde liegt. In diesem Sinne hat sich Jürgen Gebhardt ausdrücklich zum „imperative turn“ in den historisch-sozialen Wissenschaften bekannt und die historisch-philosophische Wissenschaft vom Politischen zu einem empirisch-hermeneutischen Ansatz konkretisiert. Zugrunde liegt die Einsicht der politischen Ideen als symbolischer Ausdruck existentieller Erfahrungen. In vielen Arbeiten verweist Gebhardt auf die Gedankenwelt seines akademischen Lehrers Eric Voegelin, nach dessen Postulat bei einem Zivilisationsvergleich ein begriffliches Instrumentarium herauszubilden ist, das universal angelegt sein muss. Ideologiekritische Arbeiten, die in den 1970er und 80er Jahren im Vordergrund standen erfuhren eine Akzentverlagerung in den 1980er und 90er Jahren in Bezug auf Erforschung politischer Symboliken und zugrunde liegender Bewusstseinsstrukturen, das Konzept einer bürgerschaftlichen Politik im Kontrast zum traditionellen staats- und machtzentrierten Politikmodell und eine ausdifferenzierte Untersuchung des Verhältnisses von Politik und Religion. Abgerundet wird das publizistische Spektrum des Autors durch mehrere Arbeiten zur gesellschaftlichen Aufgabe und zum Selbstverständnis der Politischen Wissenschaft sowie zu hochschulpolitischen Fragen.


Bibliographie:

Politik und Eschatologie: Studien zur Geschichte der Hegelschen Schule in den Jahren 1830-1840. Beck, München 1963.

Die Revolution des Geistes: politisches Denken in Deutschland 1770-1830; Goethe, Kant, Fichte, Hegel, Humboldt. List, München 1968.

Die Krise des Amerikanismus: revolutionäre Ordnung und gesellschaftliches Selbstverständnis in der amerikanischen Republik. Klett, Stuttgart 1976.

Jürgen Gebhardt (Hrsg.): Bürgerschaft und Herrschaft: zum Verhältnis von Macht und Demokratie im antiken und neuzeitlichen politischen Denken. Nomos-Verlag-Ges., Baden-Baden 1993.

Jürgen Gebhardt (Hrsg.): Demokratie, Verfassung und Nation: die politische Integration moderner Gesellschaften. Nomos-Verlag-Ges., Baden-Baden 1994.

Jürgen Gebhardt (Hrsg.): Verfassung und politische Kultur. Nomos-Verlag-Ges., Baden-Baden 1999.


Literatur:

Clemens Kauffmann (Hrsg.): Politik, Hermeneutik, Humanität: gesammelte Aufsätze von Jürgen Gebhardt; zum 70. Geburtstag. Duncker und Humblot, Berlin 2004.

Eric Voegelin: Anamnesis: zur Theorie der Geschichte und Politik. Alber 2005.